Mythos „Digital Natives“?

Schon seit geraumer Zeit geistert der Begriff von den „Digital Natives“ durch die Medien- und auch die Bildungswelt. Dabei soll es sich, laut Wikipedia, um Personen handeln, für die gilt:

„Computerspiele, E-Mails, Internet, Mobiltelefone und Instant Messaging [sind] integrale Bestandteile ihres Lebens, sie wurden schon früh damit sozialisiert. Diese allgegenwärtige Ausstattung und die massive Interaktion damit führe zu einem anderen Denken, anderen Denkmustern und zu einem fundamentalen Unterschied, Informationen zu verarbeiten.

Grundlage ist demnach, dass unterschiedliche Erfahrungen zu unterschiedlichen Hirnstrukturen führen. Sie seien gewohnt, Informationen sehr schnell zu empfangen, sie lieben es, parallel in Multitasking zu arbeiten. Sie lieben den Direktzugriff auf Informationen (im Gegensatz zum seriellen), ziehen die Grafik dem Text vor und funktionieren am besten, wenn sie vernetzt sind. Sie gedeihen bei sofortiger und häufiger Belohnung.“

Vor wenigen Tagen bin ich in meinem Unterricht in eine Situation geraten, die mich nachdenklich gemacht hat, ob es diese „Digital Natives“ schon gibt, bzw. in wie weit die Verfügbarkeit der o.g. Medien bereits wirklich zu fundamentalen Unterschieden führt.

Im Englischbuch English G2000 Band A5, mit dem meine Klasse 9 derzeit noch arbeitet, gibt es ein Kapitel „Young and Australian“ und darin einen Text zu „Aussie net pals“. Darin stellen sich verschiedene Jugendliche aus Australien auf ihren „Webseiten“ vor. In einem der Texte heisst es:

[quote]When I’m not asleep, I’m always chatting in my two favourite channels, #FunFactory and #MammaJamma.[/quote]

Bei der Vorbereitung zur Stunde hatte ich mich darauf eingestellt, erklären zu müssen, dass es sich bei #FunFactory und #MammaJamma nicht um Twitter-Hashtags handelt, sondern um IRC-Channel-Bezeichnungen, unser Englischbuch ist halt schon ein bisschen älter, an Twitter hat 2001 noch keiner gedacht und dass die SuS von heute mit IRC wohl nichts mehr würden anfangen können, war mir klar. (Übrigens genau so wenig wie mit dem Netscape Navigator, den Cornelsen als Hintergrundbild für diese Buchseite gewählt hat ;-))

Aber es kam alles ganz anders als erwartet – die SuS hatten, wie erwartet, keine Ahnung, dass die Raute vor den Wörtern für IRC-Channel-Bezeichnungen steht, es kam aber auch keinerlei Kommentar hinsichtlich Twitters. Also habe ich mal nachgefragt und dabei festgestellt, dass genau eine meiner Schülerinnen einen Twitteraccount besitzt. Sie erklärte die Hashtags dann so:

[quote]Da kann man so Links irgendwie mit machen, keine Ahnung was das soll.[/quote]

Mhmm. Eingeborensein ins digitale Dorf hatte ich mir dann doch irgendwie anders vorgestellt. Zumal ich ja schon zu Zeiten, als ich noch einen Lehrauftrag an der Universität hatte, in meinen Seminaren mit dem wunderbaren Titel „Digital ist besser?!“ propagiert hatte, dass die SuS, die wir als Lehrer später unterrichten würden, uns in der Mediennutzung weit voraus sein würden und dass es deshalb hochgradig sinnvoll sei, sich schon als Student, lange vor dem Referendariat, mit den digitalen Medien auseinanderzusetzen. Zu dieser Kernaussage stehe ich übrigens heute noch immer, vielleicht sogar noch mehr – aber die Gründe dafür haben sich ein wenig verändert: Ich persönlich kann mir meinen täglichen Workflow als Lehrer ohne Officeprogramme, Scanner, Hörbeispiele als AAC etc. überhaupt gar nicht vorstellen.

Stand der Dinge

Also nahm ich diese Episode zum Anlass, mal einen kleinen Exkurs zu machen und im Englischunterricht über die Mediennutzung meiner Klasse zu sprechen. Was kam dabei heraus?

Bei Facebook sind fast alle meiner Schüler – dort chatten sie und gucken Fotos an, ausserdem spielen sie. ICQ kennen sie auch, sie nutzen es zum Chatten oder zum Austausch von MP3-Dateien. Ein Blog hat nur eine Schülerin, dort schreibt sie aber nicht besonders regelmäßig. Ansonsten nutzen die Schüler den PC nach eigenen Angaben vornehmlich zum Spielen – genau so wie ihre Smartphones (es laufen viele Schüler bei uns mit iPhones und HTC-Geräten durch die Gegend).

Dieses Ergebnis ist wahrscheinlich nicht repräsentativ – in meiner Klasse sind derzeit 25 SuS, wir haben ein sehr ländliches Einzugsgebiet, in Großstädten mag das wohl anders aussehen.

Nicht digital – früher ist/war alles besser?

Doch wo ist der Unterschied zu meiner Jugend? Wir hatten zwar kein Internet, doch wir hatten auch Computer. Zunächst den Sinclair ZX81, auf dem wir BASIC-Listings abgetippt haben. Danach den C64, auf dem wir PEEKs und POKEs abgetippt haben und – natürlich – gespielt, gespielt, gespielt. Dann kamen die ersten Personal Computer, zunächst DOS, dann Windows. Wir haben in QuickBASIC und TurboPASCAL programmiert, nebenbei natürlich gespielt und – da man da irgendwie drangekommen war – versucht in AutoCAD irgendwas zu zeichnen.

Wir konnten damals nicht chatten und nicht durch die Onlinewelt streifen. Zwar hatte ich irgendwann ein Modem und habe mich sogar im FIDO-Net in irgendeine „Box“ eingewählt, viel zu sehen gab es damals da aber als Neuling nicht, ausserdem waren die Telefongebühren ja auch zu teuer.

Wenn ich meine damalige Mediennutzung mit der der heutigen SuS vergleiche, scheint mir, dass es eine Veränderung gegeben hat: Heute ist sehr viel weniger „Selbermachen“ angesagt. Muss man ja auch irgendwie nicht mehr.

Aber ist das das digitale Eingeborensein? „Daddeln“, wie die Schüler es nennen? Dann bin ich auch ein Digital Native, denn „gedaddelt“ haben wir damals auch schon.

Facharbeiten – Hilfe, ich muss was tippen

Vor einigen Wochen mussten die Schüler unserer Stufe 12 ihre Facharbeiten einreichen. Wenn ich mir solche Arbeiten ansehe, wird immer wieder sehr schnell deutlich, dass unsere Schüler nicht mit einem Textverarbeitungsprogramm umgehen können. Fußnoten werden von Hand gesetzt, ebenso Inhaltsverzeichnisse, Internetadressen im Quellenverzeichnis sind in 98,5% aller abgegebenen Arbeiten blau oder lila eingefärbt und unterstrichen, in kaum einer Arbeit sieht man Bilder in den Fließtext eingearbeitet, gerne werden Fotos als Papierabzüge eingeklebt, die Liste mangelhafter Formatierungen ließe sich lange fortsetzen. Wohl gemerkt – Schüler in der 12 gehen ca. 18 Monate später studieren und sollen dort wissenschaftliche Hausarbeiten verfassen.

Ich bin mir sicher, dass die SuS, die diese Arbeiten einreichen, viel Zeit vor dem Computer verbringen und wahrscheinlich in einer Woche mehr SMS schreiben als ich in einem Monat. Was bedeutet jetzt also „Digital Native“? Es scheint nicht zu bedeuten, dass man mit dem Medium produktiv umgehen kann. Hier müssen wir als Lehrer den digitalen Eingeborenen offensichtlich noch viel mehr unter die Arme greifen, als wir das bisher mit „IB“ in der 6 und „Informatik Differenzierung“ in der 8 und 9 so tun.

Offene Fragen

Für mich bleiben viele Fragen offen – reicht es, dass unsere Schüler alle einen PC zu Hause und ein Smartphone in der Tasche haben, um sie als „digital Natives“ zu bezeichnen? Sollte und darf man erwarten, dass SuS, die mit der Maus und Windows und dem Internet und dem Handy und der Mobilflatrate groß geworden sind, auch produktiv mit diesem Medium umgehen? Oder ist das zu viel verlangt?

Ich habe mich längst von der romantisierten Vorstellung verabschiedet, dass es schön wäre, wenn SuS nicht nur Windows bedienen könnten, sondern wenn sie auch mal DOS gesehen hätten und eine Idee davon bekämen, wo und wie die Festplatte im Computer angeschlossen ist. Das muss man heute vielleicht wirklich nicht mehr wissen. Ich weiß auch nicht, wie mein Auto GENAU funktioniert, aber ich fahre jeden Tag damit. Ich weiß, dass ich ab und zu mal tanken fahren muss, dass das Gerät prinzipiell eine Tötungsmaschine sein kann und dass es neben Diesel auch Öl und hier und dort ein bisschen Wasser braucht. Ich könnte aber nichts daran selber reparieren – brauche ich auch nicht zu können, dafür gibt es genügend Firmen, die Menschen beschäftigen, die das gelernt haben und die ich gerne dafür bezahle.

Doch irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass unsere „Digital Natives“ vor allem „Digital Consumers“ und kaum „Digital Producers“ sind. Und da bin ich ganz ehrlich: Ich empfinde das nicht als angenehmes Gefühl. Tief in mir drin möchte ich gerne, dass die kommende Generation den Computer nicht als reines Spaßmedium und das iPhone nicht als Spielekonsole begreift, sondern als Geräte, mit denen man (mobil) etwas Neues erschaffen kann. Als Werkzeug. Oder „Tool“, wie man heute wohl sagen muss.

Reicht das Fach „informationelle Grundbildung“ (Klasse 6, Einführung in Grundlagen der Informatik), das ich bei uns auch unterrichte, da aus? Reicht es, im Musikunterricht regelmäßig Notations-, Sequencer- und Videoschnittsoftware einzusetzen? Ist es zielführend, den Unterricht durch die Nutzung von moodle digital und online zu unterstützen? Ist es gut, dass meine SuS von mir keine am Kopierer zusammengeklebten Arbeitsblätter bekommen, sondern am Rechner entworfene?

Oder hänge ich nach wie vor einem zu romantisierten Bild der Computernutzung dieser Generation(en), die mir da jeden Tag gegenübersitzen nach? Was soll „digitales Eingeborensein“ für unsere Kinder bedeuten? Ich bin da ganz ehrlich – ich kann es (momentan) nicht sagen.

Mythos „Digital Natives“?
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24 Kommentare zu „Mythos „Digital Natives“?

  • 10. Juni 2011 um 09:40 Uhr
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    ja, das kenne ich …

    tatsächlich muss man den Schülern auch bei Textverarbeitungen zeigen, wie es richtig geht.

    Der Unterschied zu früher ist, dass sie teilweise ungezwungener mit dem Computer umgehen und eben auch einen haben.

    Die Nutzung von Web2.0-Angeboten (damit meine ich den Umngang mit Internet-Werkzeugen) sind sie auch gewohnt … eben wie bei Facebook.

    Grüße, Birgit

  • 10. Juni 2011 um 10:33 Uhr
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    In „informationelle Grundbildung“ passiert bei uns genau das – die SuS lernen, mit Word, Excel und Powerpoint (bzw. den entsprechenden OpenOffice Pendants) umzugehen, ausserdem geht es um Suchmaschinen, E-Mails und verantwortungsvollen Umgang mit SVz und Co.

    Dass die SuS ungezwungener mit dem Computer umgehen, glaube ich nicht, denn wir hatten damals ja auch keinen „gezwungenen“ Umgang damit. Der Umgang war höchstens zunächst mit etwas höheren Hürden versehen, musste man doch DOS-Befehle bzw. rudimentäre BASIC-Befehle (LOAD“$“,8) auswendig lernen, um irgendwas spielen zu können ;-)

    Dass SuS Web 2.0 Angebote nutzen, stimmt. Aber ich sehe da fast ausschließlich konsumierende Nutzung. Z.B. Filme bei YouTube ansehen, aber keine reinstellen, ja nicht einmal die Möglichkeit in Betracht zu ziehen.

    Ich habe bei den geschätzt 900 SuS, die ich in den letzten Jahren bei uns unterrichtet habe, bisher genau EINEN dabei gehabt, der mit Photoshop eigene Desktophintergründe erstellt und diese bei DeviantArt veröffentlicht.

    Ich habe, neben der Schülerin aus meiner Klasse, noch zwei weitere kennen gelernt, die ein eigenes Blog betreiben.

    Unsere Schule hat 1.400 Schüler, bisher kenne ich zwei Videos, die SuS von uns bei YouTube hochgestellt haben (einen Abifilmtrailer und einen „Wir bauen eine Stuhlpyramide und werfen sie dann um“-Film).

    Wir haben an unserer Schule einen eigenen Podcast, in dem wir vor allem Produktionen aus dem Musikunterricht veröffentlichen – ob die Sachen da aber reinkommen oder nicht ist den SuS im Allgemeinen vollkommen egal.

    Ich habe bereits mehrfach angeregt, dass wir (in Oberstufenkursen in Musik) unsere Erkenntnisse zu bestimmten Themen z.B in einem Blog veröffentlichen und so auch den anderen SuS sowie kommenden SuS-Generationen zur Verfügung stellen könnten. Das Projekt ist jedes Mal daran gescheitert, dass die Schüler der Meinung waren, dass sie keinen Sinn darin sehen, IHRE Ergebnisse ANDEREN zur Verfügung zu stellen.

    Wenn ich mir Beispiele wie die KAS anschaue, dann kann diese Konsumhaltung natürlich wirklich an der Ländlichkeit unserer Schule liegen, umso spannender wäre es, hier noch Kommentare von Kollegen und Kolleginnen aus größeren Städten zu sammeln.

    Es scheint mir jedenfalls wichtig zu sein, dass wir, abgesehen von der reinen Bedienkompetenz, auch so etwas wie eine Web 2.0 (oder 3.0 oder 4.2 oder wie immer es bald heissen wird) Geisteshaltung vermitteln. Ein MITMACHnetz lebt eben vom produktiven mitMACHEN und nicht bloß vom mitNEHMEN…

  • 10. Juni 2011 um 13:55 Uhr
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    Schön – endlich wird’s mal angesprochen.

    Wenn ich die „Digital Natives“ bislang angezweifelt habe, musste ich mir immer anhören, dass ich ja mit Hauptschülern zu tun hätte und dass das dort eh anders wäre usw.

    Deshalb nun ein Blick auf die Studierenden meiner letzten Seminare; es ging um neue Technologien im MU:

    – ca. 25 – 30 Studierende
    – 0 hatten Twitteraccount
    – vielleicht 5 „haben schon mal was von Twitter gehört“
    – wenige nutzten Facebook
    – mehrere StudiVZ
    – Umgang mit Präsentationsprogrammen: erschreckend
    – Musiksoftware: keine Kenntnisse
    – Photoshop hatten manche (als Crack) benutzen konnte es keiner
    – Programme für digitalen Bildschnitt nutze niemand
    – manche hatten audacitiy – zwei Studierende hatten es sogar schon mal geöffnet, alle nannten es „Outer-City“
    – Grundcomputerkenntnisse (welche gängigen Dateiformate gibt es? Was ist der Unterschied zwischen „speichern“ und „speichern unter“, Ordnerstruktur, Installieren, Deinstallieren, Konvertieren: bei 3 – 4 Studierenden vorhanden – es waren Männer
    – zwei nutzten einen Mac – kannten sich aber eher mal … sehr wenig aus
    – niemand hatte je in einem Wiki gearbeitet
    – zwei wussten, dass Wikipedia ein Wiki ist und dass man das Grundgerüst auch in anderen Bereichen nutzt

    am schlimmsten für mich:

    – Kenntnisse in Bezug auf Recherche bzw. Nutzung von Suchmaschinen: erschreckend.
    – einfache Probleme wie beispielsweise: Wie öffne ich eine *.xyz Datei konnten nicht über Recherche gelöst werden …

    Von daher:
    Wo sind sie, die Digital Natives? An der Uni habe ich sie auch noch nicht getroffen …

  • 10. Juni 2011 um 14:17 Uhr
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    Die Frage ist doch, was die Konsequenz daraus ist? Die Teilnehmer Deines Seminars werden irgendwann mal in der Schule stehen und – wahrscheinlich – eher nicht mit den „neuen“ Medien hantieren. Ergo werden sie also auch die SuS nicht dazu anleiten/motivieren/anregen können, so etwas zu tun.

    Das System Schule kommt in so einem Fall ja völlig konsequenzlos daher. Kommst Du heute in eine moderne Firma, in der Du eine Position hast, in der Du in etwa das verdienst, was Du als Lehrer verdienst, bekommst Du ein Blackberry in die Hand gedrückt – fortan hast Du erreichbar und mobil zu sein. Dass Du E-Mails liest und mit dem Internet umgehen kannst ist schlicht Voraussetzung für Deinen Job.

    Und als Lehrer?

    Da kannst Du weiterhin Deine Matrizenkopien von anno tuck nutzen, Dich der E-Mail verweigern als Eingriff in Deine Privatsphäre und so noch locker 25 Jahre Deinen Dienst versehen, ohne dass mal etwas passiert.

    Keine Angst – ich wünsche mir keinen digitalen Konformismus, Schule lebt auch davon, dass Kollegen unterschiedlich sind, dass SuS mit ganz verschiedenen Persönlichkeiten konfrontiert werden (eine Schulleiterin nannte das mal „den Vorteil eines bunten Kollegiums“). Aber Schule ist nach wie vor ein Raum, in dem Kollegen sich erlauben, sich jedweder Veränderung zu entziehen. Sicherlich nicht zugunsten der Schüler.

    • 10. Juni 2011 um 14:36 Uhr
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      „… Aber Schule ist nach wie vor ein Raum, in dem Kollegen sich erlauben, sich jedweder Veränderung zu entziehen. Sicherlich nicht zugunsten der Schüler.“

      *Das* ist doch das Problem.
      Aber es gibt noch ein zweites, nämlich die DigitalJünger, die Ihre – wie schrieb das der Maik unten – iHausaufgaben über iPhone twittern, die iHomeWorks im Wiki machen und dann nur eines tun: Dem Kollegium zeigen: Schaut mal, was ich kann, hohoho, ich bin der iAmpulsderzeit.

      Von daher haben eine Baustelle mit beidseitig gesperrter Straße: Die iTeacher müssen ein wenig gebremst, die Umdrucker angestoßen werden, den Digitalen muss man mal ein Stück Kreide in die Hand drücken, den Analogen zwei weg nehmen …

      Wir müssen also *alle* an der Veränderung arbeiten.
      Klar – ganz einfach: das wäre *eigentlich* die Aufgabe der Schulleiter, sagen die Lehrer, nee, das ist die Aufgabe vom Ministerium, sagen die Schulleiter und – hallo? Sollen wir die Lehrer verändern – das ist Aufgabe der Lehrer, sagt das Ministerium.

      Hmm …

      Konsequenz? Kreide und Edding kaufen *und* gleichzeitig meiner Kollegin zeigen, wie einfach digitaler Filmschnitt geht? Und das, obwohl sie gerade mal Mails beantworten kann. (nächste Woche zeigen wir ihr dann den Spam-Ordner und was sich dort so alles findet …)

      Auch nicht …

      Ich habe die Hoffnung verloren, dass das besser wird. Neulich hat der Arbeitsauftrag: „Nehmen Sie die DVD und installieren Sie *alle* Programme. Brechen Sie nicht ab, das dauert ein wenig …“ über 90 Minuten gedauert, weil jeder zweite Lehrer nach 5 – 10 Minuten abgebrochen hat („Ei, der hat ja immer wieder das gleiche gemacht …“)

      Ich glaube, dass die Situation, wie sie ist, sich nicht großartig verändert:
      – es gibt in jeder Stufe, in jedem Alter einen geringen Teil an Spezialisten
      – es gibt einen mittelgroßen Teil von Usern (gerne auch iNutzer)
      – es gibt einen mittelgroßen Teil von „Besitzern“ (ja, ich habe einen Computer von Aldi und einen Drucker, wenn mal was nicht geht, geht’s halt nicht … das kann auch mal ein Jahr oder so sein … egal)
      – es gibt einen geringen Teil von Ignoranten (brauche ich nicht. Punkt.)

      Ich befürchte (schweren Herzens) es wird sich nicht viel ändern …

    • 10. Juni 2011 um 22:27 Uhr
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      Digital Natives bin ich auch noch nicht begegnet (Gymnasium, halbländlicher Raum). Alle Phänomene beobachte ich ebenfalls: Facebook und Handy ja, aber in allen anderen digitalen Belangen wahr Stümper und – was noch wichtiger ist – auch nicht weiter interessiert an den Dingen, die keinen Freizeitnutzen implizieren.

      Aber dennoch könnten die Kompetenzen ja an der Schule vermittelt werden, aber ich sehe drei wesentliche Gründe, warum die Situation an den Schulen derart desolat ist.

      – Kollegen, die keine Spezialisten sind, sind nicht vom Mehrwert des Computereinsatzes in der Schule überzeugt. Dazu kommt auch noch ein Generationenproblem in diesem Zusammenhang, der einen Wissensaustausch zwischen Kollegen erschwert.

      – Der Computer ist laut Schulgesetz (zumindest hier in Nds) *kein* Arbeitsmittel eines Lehrers – er hat aus diesem Grund keinen Anspruch auf einen Computerarbeitsplatz in der Schule und ist selbst verantwortlich für seine digitale Zukunftsgestaltung (die er freilich auch selbst zu finanzieren hat).

      – Die Computer-Ausstattung ist in den meisten Schulen erbärmlich – da hilft auch das beste Methodenkonzept nicht weiter…

  • 10. Juni 2011 um 14:20 Uhr
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    Aber iDingens-Geräte sind z.B. doch genau dafür gebaut worden, damit man sich nicht mehr in die Niederungen der Betriebssystemfunktionen begeben muss… Und wer nutzt iDingensgeräte primär?

    Die Schülerinnen und Schüler schauen sich das ab, was sie anderswo sehen.

    Sind wir Lehrer „Producer“? Nutzen wir iDingensgeräte nicht zum Konsum (von Informationen)?

    Produktive, offene Lehrercommunities kannst du in DE wahrscheinlich lange suchen. Meine eigene Nase ist schon blau vom andauernden Anfassen :o)…

    Gruß,

    Maik

    PS:
    Ich schreibe „ernste“ Textdokumente mit LaTeX…

  • 10. Juni 2011 um 14:32 Uhr
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    Also wenn ich bei uns durch die Schule gehe, dann ist ganz klar, dass es NICHT die Kollegen sind, die „iDingens“-Geräte primär nutzen ;-)

    Lange bevor dieses Blog ein Blog wurde, war es ja mal als Kommunikations- und Austauschplattform für MusiklehrerInnen gedacht. Wie gut das funktioniert hat, sieht man daran, dass es nun nur noch ein Blog ist ;-)

    Ansonsten: Der Rechner ist für mich schon vor allem Produktionsgerät. Aber eine solche primär produktionsorientierte Nutzung kann man von 14jährigen sicherlich nicht verlangen.

    Ich frage mich ja auch nur, ob wir uns nicht einen vor machen, wenn wir behaupten, die Kids da draussen seien alle „fit“ im Umgang mit dem Rechner. Das halte ich für ein Gerücht. Es obliegt weiterhin uns als Lehrern, ihnen auf dem Weg zum Fitsein zu helfen.

    • 10. Juni 2011 um 14:38 Uhr
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      und es obliegt der Ausbildung, zum Fitmachen zu motivieren! Wenn es uns gelingt, die dritte Lehrerphase als eine Phase des Lehrens und Lernens verständlich zu machen – wenn wir das vielleicht sogar *vorleben* – können wir vielleicht sogar aus den „Besitzern“ „Benutzer“ machen – damit hätten wir die Mittelschicht verbreitert ;-)

      • 10. Juni 2011 um 14:44 Uhr
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        Mein Reden… :o)…

        PS:
        Können sich bei euch Schülerinnen und Schüler in der Breite iDingens-Geräte leisten?

        • 10. Juni 2011 um 14:53 Uhr
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          Leisten kann es sich definitiv keiner. Haben tun’s komischerweise einige …

        • 10. Juni 2011 um 15:21 Uhr
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          Ähnlich wie bei Michael: Dass die SuS sich das leisten können, wage ich zu bezweifeln, aber in jeder Klasse oder jedem Kurs gibt es mindestens 5, die ein iPhone oder wenigstens einen iPod touch dabei haben, mindestens genau so viele haben andere Smartphones dabei. Ich denke, dass es sich dabei meist um abgelegte Geräte von Papa oder Mama handelt.

      • 10. Juni 2011 um 15:19 Uhr
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        Ja, wenn uns das gelingt, haben wir einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht!

        • 5. Dezember 2011 um 10:27 Uhr
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          Allerdings! Das Beispiel mit den Fußnoten und den Bildern hab ich schon gefühlte tausende male gesehen, aber die entsprechenden Lehrer haben es einfach so hingenommen, wie soll denn bitte ein 14 Jähriger wissen, dass man sowas auch „schön“ machen kann, wenn es ihm niemand sagt und vorallem erklärt.

          Mein Wissen über MS Office und Konsorten habe ich mir selbst angeeignet, weil meine Lehrer den Computer als Hilfsmittel nicht sehr ernst genommen haben.
          Was haben wir davon? Eine Generation von „Besitzern“ (wenn ich das auch mal so nennen darf) die nicht wirklich viel effektiv nutzen können…
          Ich bekomme Täglich von zig leuten SMS geschickt, die mir über ihr Smartphone genausogut eine kostenlose E-Mail hätten schicken können…
          In meiner jetztigen Klasse in der Ausbildung habe ich es geschafft „Whats App“ zu verbreiten; Hat ein wenig gebraucht aber jetzt kann ich mit fast allen schreiben ohne dafür Geld für eine SMS zu verschleudern.

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  • 12. Juni 2011 um 14:06 Uhr
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    Hallo zusammen,
    hört sich ja frustrierend an – bei uns ist natürlich alles besser (SPASS!).
    Im Ernst, die wirklichen „natives“ kommen noch – denke ich. Die Studierenden sind da noch aus der Generation, die in der Schule absolut NICHT mit web2.0 gearbeitet haben.
    Wenn man sich aber die Zahlen z.B. der bitkom-studie oder horizon report ansieht, dann ist der Besitz von Smartphones, PC, etc. fast bei 100 %. Und auch unter den Kollegen wird sich dies in absehbarer Zeit ändern. Ich denke, da müssen wir einfach noch etwas Geduld haben. Nun aber zu deinem Anliegen, die Schüler mitzunehmen und IHRE ergebnisse mit ANDEREN zu teilen. Mein Tipp: Wiki. Ich mache damit (auch im Fach Musik) gerade sehr gute Erfahrungen damit. Natürlich musst du viel Power reinstecken und vor allem eines: Arbeiten werden nicht mehr als Referat oder Handout oder sonst was akzeptiert. Punkt. Es muss im Wiki gearbeitet werden. Und wenn du dann noch ein paar Kollegen mit ins Boot bekommst und die Schüler langsam merken, wie sich die Begriffe und Seiten im Wiki automatisch verlinken, dann finden sie es super. Schülerzitat aus der 10: „Unser Wiki ist jetzt schon richtig super geworden und es steht schon viel drin“. Voraussetzung allerdings. Wir arbeiten in der Stunde dauernd am Wiki, im ganz normalen Unterricht. Dazu braucht es Zugangsgeräte (bei uns iPad). Ginge aber auch mit iPod oder ähnlichem, was eben verfügbar ist.
    Wichtig ist, dass wir dranbleiben!
    Ciao
    André Spang, KAS, Köln.

    • 5. Dezember 2011 um 10:30 Uhr
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      Ich wünschte, ich hätte solche Lehrer gehabt… ;)

  • 12. Juni 2011 um 21:46 Uhr
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    Moin!

    Ich kann die Beobachtungen grundsätzlich nachvollziehen – wenngleich in einzelnen Punkten nicht ganz so dramatisch. Aber das soll jetzt nicht zählen, denn das Phänomen ist das gleiche: Computer zu besitzen und sie kreativ für Problemlösungen zu nutzen, sind zweierlei Dinge.

    Die Beobachtung hat ja schon zu der aktualisierten Version der ‚digital natives‘ geführt, den ´digital na(t)ives´ [http://beat.doebe.li/bibliothek/w02038.html]

    Zum Thema Facharbeiten:
    In diesem Jahr waren die Formatierungen der Arbeiten deutlich besser als in den letzten Jahren. Ich hoffe, dass dies eine Tendenz ist… :)
    Ein möglicher Grund: Ich habe den Schülerinnen eine fertig formatierte Vorlage gegeben und sie dazu „gedrängt“, diese zu nutzen und an ihre Wünsche anzupassen. Dadurch sahen sie sich erstmals in der Situation, Formatvorlagen, Indexe und Fußnoten anzuwenden. Die meisten Lehrer kennen diese Funktionen selber nicht, da sie ihre wiss. Arbeiten zumeist noch auf der Schreibmaschine gemacht haben. Warum sollten sie das dann von den SchülerInnen einfordern?
    Beim Wort LaTeX haben die meisten wahrscheinlich eher andere Assoziationen als an eine – wirklich gute – Textverarbeitung.

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  • 13. Juni 2011 um 20:02 Uhr
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    Dass die Vorstellung, alle Jugendlichen seien Internet- und Computerexperten, überhaupt so langlebig war, wundert mich immer wieder.
    Ich habe gerade meine Sicht – anlässlich einer Diskussion beim OpenCourse „Zukunft des Lernens“ – frisch verbloggt:
    Diagnose und Therapie

  • 17. Juni 2011 um 13:52 Uhr
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    Hallo,

    auch hier (Gym im Rhein-Neckar-Raum) sind Digital Natives in der Schule wenig zu finden. Auch die SuS nutzen den Computer/Smartphone als Problemlösewerkezeug – so wie wir Lehrer sie für unsere Probleme/Aufgaben nutzen so sie für die ihrigen. Nur: sie erhalten wenig Aufgabenstellungen, für die eine erweiterte Medienkompetenz über Facebook, Wikipedia, Google hinaus nötig ist. Will man die Medienkompetenz fördern, sollte sie sich auch in den Aufgabenstellungen geschweige denn den Prüfungen abbilden (in vielen Bildungsplänen ist Memdienkompetenz formuliert).
    Es muss m. E. Ziel sein, Aufgaben, Fragestellungen, Prüfungsformate zu entwickeln, die ohne Medienkompetenz nicht zu beantworten sind. Nur so werden die in vielen Bildungsplänen formulierten Medienkompetenzen ihren Stellenwert bekommen und nicht als „ferner liefen“ behandelt.

    Maurice

  • 17. Juni 2011 um 15:03 Uhr
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    Da bin ich voll und ganz bei Dir. Wir sollten dann langsam mal versuchen zu definieren, WAS wir konkret unter Medienkompetenz in der Schule verstehen wollen.

    Googlen?
    Anwendungskompetenz?

    Die Lehrpläne helfen uns da wenig weiter – dort geht es ja nach wie vor darum „irgendwie mal was mit dem Computer gemacht“ zu haben – flapsig ausgedrückt.

  • 27. Juli 2011 um 12:29 Uhr
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    Ich finde das Sprechen von den „digital natives“ nach wie vor verfehlt, denn es suggeriert, dass die so Genannten keinen Lernbedarf mehr hätten und quasi-natürlich mit den neuen Medien umgehen würden. Mal auf ein anderes Medium übertragen: Die meisten dürften heutzutage „TV-Natives“ sein, aber weder sind meine Schüler ganz von selbst besonders dolle Regisseure mit „natürlichem“ Verständnis für die Ästhetik und den Aufbau von TV-Produktionen, noch ist das technische Wissen um Fernsehen/Kino besonders ausgeprägt, obwohl nahezu jeder eine Kamera zuhause oder wenigstens am Handy hat.

    Die Mär vom medial unterbelichteten Erwachsenen ist eine Medien-Chimäre, die sich eben besser verkaufen lässt. „Schüler unterrichtet Lehrer“ entspricht eben eher der Formel „Mann beißt Hund“, hat aber mit dem Alltag wenig zu tun. Meine Schüler bekommen immer wieder ganz große Augen, wenn ich mit Alt-Tab versteckte Fenster wie von Geisterhand wieder auftauchen lasse. Die haben nicht mal Grundkenntnisse.

    „Medienkompetenz“ ist ein ziemlich großer Begriff, denn man zunächst einmal aufgliedern müsste, da stimme ich Sebastian unbedingt zu! In eine „Textverarbeitungskompetenz“ oder „Recherchekompetenz“ oder „Präsentationskompetenz“ oder auch eine „Vorsicht im Umgang mit dem Internet“-Kompetenz, eine „Gestaltungskompetenz“ – vielleicht sollten wir einfach einmal gemeinsam darüber nachdenken? Denn ansonsten bleiben die Aufgaben Legion und die Verständigung über die „Medienkompetenz“ wird immer wieder enden wie beim Turmbau zu Babel.

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